Ja, wo färben wir denn?!

Yarn

Foto: Ken Bosma/flickr

Als wir beschlossen, nach England zu fahren, um unsere Spinnerei kennen zu lernen, überlegten wir, dass es Sinn machen würde auch gleich eine kleine GOTS-Färberei im Norden von England zu besuchen.

Der Besuch entpuppte sich als ebenso spannend wie skurril! Man führte uns in einen Raum, der uns als „das Büro des Chefs“ vorgestellt wurde und in dem es unheimlich viel zu bestaunen gab, während wir es uns bei ca. 10 Grad vor einem kleinen Heizstrahler gemütlich machten: da gab es Berge von Strick-Pullovern, leeren Garnrollen, Unterlagen und alter Computer-Hardware, alles wild gemischt und ganz im Stil dieser britischen 70er-Jahre Krimis, wo alle hinter einer ganz heissen Sache her sind, in ein völlig umgegrabenes Zimmer kommen und dann sagt einer: „Oh mein Gott, sie waren schon vor uns da!“

Der „Chef“ stellte sich als sehr britisch heraus, immer einen Scherz auf den Lippen, und überzeugte uns trotz des eher wild anmutenden Büros durch seine 30-jährige Erfahrung in der garnverarbeitenden Industrie. Seine kleine Färberei managte er seit 15 Jahren, wobei uns schien, dass er irrsinnig viel selbst und mit vollem Einsatz machte, vom Färben und „Hank Twisting“ bis hin zum Ausliefern der fertigen Ware.

Ausserdem beherbergt er eine koreanische Textil-Künstlerin in der Färberei, die uns mit den Worten „Ah, endlich Menschen!“ begrüßte und uns durch die Färbehalle schleppte, um uns stolz allerlei selbstgemachtes Textilwerk zu zeigen, das sie aus Bottichen mit blauen und grünen Flüssigkeiten zog. Einen Umtrunk im Local Pub mussten wir leider ausschlagen, da unser Rückflug anstand.

Wir beschlossen, es mit diesem sympathischen kleinen Unternehmen zu versuchen, vor allem weil man hier mit dem Färben nach den strengen GOTS-Richtlinien schon einige Erfahrung hatte. Damit waren die drei wichtigsten Themen (Wolllieferant, Spinnerei und Färberei) jetzt unter Dach und Fach und es konnte endlich mit der Produktion losgehen!

 

Wie wir nach England fuhren und unsere Spinnerei kennen lernten

Nachdem wir nun eine potenzielle GOTS-Spinnerei gefunden hatten, war klar, wir mussten hin, um ihre Arbeitsweise genauer kennen zu lernen und besser einschätzen zu können, ob sie die Richtigen für uns waren. Wir recherchierten also wieder, sortierten unsere Wollproben, bereiteten die Spezifikation unseres Wunschgarnes in zwei Stärken vor und buchten den Flug.

Wolle in der Spinnerei

Man hatte uns nach guter englischer Art versichert „to have tea and cake ready“, wenn wir nach der 4,5-stündigen Autofahrt vom Flughafen in Cornwall ankommen würden. Das ging dann aber leider völlig unter weil wir gleich in das mehrstündige Meeting starteten, bei dem wir mit glühenden Köpfen diskutierten, wie nun das Wunschgarn technisch hinzubekommen sei. Es herrschte eine angenehme Atmosphäre, bei der uns die Besitzerin barfuss in ihrem Büro mit vielen Schafrassen-Plakaten an den Wänden gegenüber saß und uns der technische Leiter mit starkem Akzent und kleinen Wollflöckchen an der Hose begeisterte. Bis in den Abend hinein sprachen wir noch über Farben und andere wichtige Themen – eins war klar: Das war ein Ort an dem man Wolle sehr ernst nahm!

Es folgte ein weiteres Treffen am nächsten Tag, bei dem man uns die Spinnerei zeigte und alle Prozesse genau erklärte, wobei alles ganz ähnlich aussah und roch wie in der Spinnerei meiner Eltern und Großeltern, die ich in meiner Kindheit erlebt hatte. Ich fühlte mich schon fast zuhause!

Schließlich einigten wir uns auf die Spezifikationen für unsere Garne. Genauso wie die mitgebrachten Wollen würde sie nicht aussehen können, das würden ihre Maschinen nicht schaffen, aber wir fanden eine alternative Lösung.

Wir fuhren zuversichtlich nach München zurück, aber die Spannung blieb natürlich erst mal. Einige Tage später dann der Schock: Bei den extra für uns produzierten Garnproben war nichts von der beabsichtigten Weichheit zu spüren! Die Strickprobe mit diesen Garnen war viel zu hart! Auch die anderen mitgeschickten Varianten waren nicht annähernd das, was wir uns unter höchster Qualität vorstellten. Woran lag es, was war falsch an der Spezifikation oder an der Herstellungsart? Oder lag es doch nur an den 23 Micron der fremden Probe-Wolle?

Wir arbeiteten uns immer tiefer in Spinnereiverfahren und Garneigenschaften ein, bis wir klarer sahen: Unsere weichere Wolle (19,5 Micron) alleine würde die Qualität nicht verbessern. Durch die Stärke des Zwirnens und die hohe Anzahl einzelner Garne ging offenbar zu viel Weichheit verloren. Es folgten nervenaufreibende Anstrengungen und viel Kommunikation, um eine neue Spezifikation für beide Garnstärken auszuarbeiten.

Es waren schließlich drei Faktoren an denen wir ansetzen konnten: die Dicke und Anzahl der einzelnen Garne, sowie die Art wie sie verzwirnt wurden. Wir vertrauten darauf, dass sie es mit diesen Änderungen nun schaffen würden! Wir vereinbarten, dass wir nochmals hinkommen würden, sobald unsere Rohwolle eingetroffen war und sie daraus verschiedene Proben gesponnen hatten. Die Proben liessen wir aus dem Vorlauf herstellen, der sowieso anfällt wenn die Spinnerei nach einer Nicht-Bio-Produktion wieder GOTS-konform spinnt. In unserem Fall waren es 16 Kilo.

Unnötig zu betonen, dass wir schlaflose Nächte hatten, bis es endlich soweit sein würde und wir das Ergebnis bei unserem nächsten Besuch vor Ort würden bestaunen können.

Wie wird eigentlich Garn gesponnen?

Rosy kam eines Abends mit einer Tasche voller Garne heim. Sie hatte den Nachmittag in Wollgeschäften verbracht und hatte eine Auswahl der besten Merino-Wollen dabei. Eigentlich war der nächste Schritt ganz einfach: Wir würden ein Garnmuster auswählen, zur Spinnerei schicken und diese würden das gleiche herstellen, nur in Bio. Nur so einfach war das nicht.

Wir mussten erstmal lernen, dass es zwei verschiedene Verfahren für das Spinnen von Wolle gibt: Das Kammgarnverfahren und das Streichgarnverfahren. Bei Streichgarnen werden die Wollfasern gemischt und dann in einzelne Fasern aufgelöst. Daraus entsteht ein Flies, das anschliessend versponnen wird. Kammgarn entsteht durch Kämmen der Wolle, es werden Verunreinigungen entfernt und die einzelnen Fasern werden parallel ausgerichtet. Streichgarne sind voluminöser, Kammgarne gleichmäßiger.

Aber was wollten wir? In Telefonaten mit Spinnereien klang es so, als würden wir mit unserer weichen Wolle Streichgarne machen wollen. Aber als wir die Muster hinschickten war klar: Wir würden ein Kammgarn brauchen. Damit fielen schon einige Spinnereien aus der Auswahl.

Verzwirnen unserer Wolle

Die nächste Frage war, wie das Garn verzwirnt werden sollte. Es gibt Handstrickwolle, die nur aus einem einzelnen Garn besteht. Aber die Robustheit, Feinheit und Elastizität wird besser, wenn mehrere Garne verzwirnt werden. Manche Hersteller verwenden bis zu 16 einzelne Garne für ein Endprodukt, teilweise indem sie mehrmals verzwirnt werden. So hatten wir ein Muster, bei dem zuerst aus zwei einzelnen Garnen ein verzwirntes Garn gemacht wurde, dann aus acht dieser Zwirne wiederum das Endprodukt.

Neben den Produkteingenschaften, die hier eine Rolle spielen, ist das Verzwirnen auch eine Kostenfrage. Je dünner das einzelne Garn, desto länger muss gesponnen werden. Und pro Zwirnvorgang fallen ebenfalls Kosten an. Wir mussten also mit der Spinnerei die beste Lösung für das Problem finden.

Wir lassen uns GOTS zertifizieren – aber wie?

Nachdem wir uns entschieden hatten uns nach dem GOTS Standard zertifizieren zu lassen, fragten wir uns wie das geht. Das Verfahren ist ähnlich wie beim Bio-Siegel für Lebensmittel. Nicht eine Organisation vergibt das Siegel, sondern verschiedene Zertifizierungsstellen haben die Zulassung dies zu tun. Nach einem Regelheft wird eine Prüfung durchgeführt und dann hat man die Lizenz, ein Jahr lang GOTS-Produkte zu verkaufen. Danach muss wieder geprüft werden.

Normalerweise lassen sich Hersteller zertifizieren. Also Spinnereien oder Färbereien. Die Schafzüchter selbst müssen kontrolliert biologische Tierhaltung betreiben, unterliegen also den gleichen Prüfungen wie Betriebe für die Fleischherstellung. Wir aber sind ein Sonderfall, da wir selbst die Produkte nicht anfassen. Unsere Garne werden direkt von der Färberei an die Firma geliefert, die den Versand für uns macht. Die Färberei ist GOTS zertifiziert, aber nachdem wir unter unserem Namen verkaufen wollen, müssen wir auch selbst ein Zertifikat besitzen.

Alle GOTS-Zertifizierer zertifizieren auch Lebensmittelhersteller und nach einigen E-Mails und Telefonaten mussten wir feststellen, dass der Textilbereich für einige noch vollkommenes Neuland ist. Andere haben schon einige Erfahrung in dem Bereich, deren Preise richten sich aber nach den Anforderungen von Großunternehmen. Bei uns gibt es aber wenig zu prüfen: Bisher keine Buchhaltung, keine Betriebsstätte. Trotzdem muss die Prüfung vor Ort stattfinden und alleine die Reisekosten und Tagessätze waren bei einigen erschreckend hoch.

Dann hatten wir Kontakt mit CERES, die vom mittelfränkischen Happurg aus Betriebe in aller Welt zertifizieren, u.a. auch für Demeter und Naturland. Mit über 20 GOTS-Zertifizierungen konnten sie kompetent auf unsere Fragen antworten und vom Preis lagen sie auch nicht zu hoch. Jetzt warten wir auf den Besuch der CERES-Inspektoren.

Auf Ravelry

Wir sind jetzt mit einer Gruppe auf Ravelry vertreten. Wenn Ihr dort schon Mitglied seid, dann besucht uns doch!

Ravelry ist die größte Online-Community für StrickerInnen und HäklerInnen weltweit mit 1-2 Mio. Benutzern pro Monat. Mit tausenden von Strickanleitungen und einer riesigen Garn-Datenbank ist die Seite eine riesige Fundgrube für alle, die etwas mit Wolle machen.

Wo auf der Welt gibt es eine GOTS-zertifizierte Spinnerei?

Eine GOTS-zertifizierte Spinnerei für maschinengefertigte Textilien aufzutun ist nicht einfach, aber kein Vergleich zum Versuch eine solche Spinnerei für Handstrickgarne zu finden! Das stellte sich als die buchstäbliche Stricknadel im Heuhaufen und die bisher größte Hürde des Projektes heraus!

Dass wir es leicht beunruhigend fanden, dass die Wollieferanten keine solche Spinnerei kannten, habe ich schon erwähnt. Die Spinnereien, die sie uns nannten, produzierten entweder keine Handstrickgarne, nicht GOTS-zertifiziert, nicht unter mehren Tonnen oder sie konnten die von uns gewünschten Garnarten nicht herstellen.

Ich wollte nicht aufgeben und kontaktierte insgesamt über 50 Spinnereien weltweit, mit denen oft mehrere Telefonate und Emailwechsel stattfanden, bis sich herausstellte, dass es leider doch wieder an einem der oben genannten Punkte scheiterte. Manche erzählten, dass sie bereits die GOTS-Zertifizierung beantragt hatten, das Verfahren aber so aufwändig, langwierig und streng sei, dass sie es bisher noch nicht geschafft hatten, das Zertifikat zu bekommen.

Mehrere Tage verbrachte ich alleine damit, mit ettlichen italienischen Spinnereien zu telefonieren – man hatte mir geraten, es dort zu versuchen, Italien sei schließlich berühmt für seine Handstrickgarne. Nachdem diverse Brigittas, Paolos, Barbaras und wie sie alle hießen, mich um eine schriftliche Zusammenfassung gebeten und mir sehr freundlich versichert hatten, sie würden meine Anfrage besprechen und sich in den nächsten Tagen mit einem Angebot bei mir melden, hörte ich nie wieder von ihnen. Es war zum Verzweifeln!

Was nun? Vielleicht konnte die GOTS-Organisation selbst, die Soil Association (Britische Bio-Organisation) oder der IVN (Internationaler Verband der Naturtextilwirtschaft) mir helfen? Auch dort war man ratlos: GOTS-Färbereien gebe es ein paar in Europa, ja, aber GOTS-Spinnereien für Handstrickgarne kaum welche. Ich rief jeden Tag dort an bis ich endlich eine Person am Telefon hatte, die den entscheidenden Tipp für uns hatte: 2 kleine Spinnereien in Grossbritannien, von denen man vermute, dass sie  vielleicht unsere Anforderungen erfüllen könnten. Ich nahm sofort Kontakt auf. Die eine, in Schottland, vertröstete mich immer wieder, weil der technische Leiter angeblich nie im Haus war, und wirkte generell eher lustlos. Als ich ihn endlich erreichte, sagte er uns ab, mit der Begründung, unsere Garnart nicht produzieren zu können. Nun hing alles an der letzten noch verbleibenden Chance, einer kleinen GOTS-Spinnerei im Herzen von Cornwall. Das Foto der Inhaberin, Arm in Arm mit einem Schaf aus ihrer eigenen Herde, war uns sofort sympathisch!

Nur hatte diese Spinnerei bisher vor allem Erfahrung mit der Verarbeitung britischer Schafwolle, die in der Regel viel gröber ist als die von uns geplante, sehr weiche Merinowolle. Nachdem uns die Glücksnachricht erreichte, ja, man könne prinzipiell die gewünschte Menge GOTS-zertifziert für uns spinnen, kam jetzt also die nächste spannende Frage: Würden sie es schaffen, die von uns entworfene hochwertige Garnspezifikation herzustellen?