Telefonate mit Wolle-Großhändlern auf der Südhalbkugel

 

Also soviel war klar: Mulesing-freie, GOTS-zertifizierte Merino-Rohwolle musste her, aber wer konnte die liefern?

Im Winter verbrachte ich, Rosy, lange Tage und Abende (Zeitverschiebung) mit Emails und Telefonaten mit Neuseeland, Australien, Argentinien, Uruguay und Chile, um geeignete Lieferanten ausfindig zu machen.

Dadurch haben sich einige recht spannende Kontakte ergeben, durch die ich viel über Wolle gelernt habe. Da war z.B. Peter, von New Merino in Australien, der sich ständig von irgendwo auf der Welt meldete und versicherte, Mulesing-freie Wolle liefern zu können. Oder Jose und Ricardo von Ovis XXI aus Argentinien, die immer über ausgedehntere Zeiträume in der Mittagspause waren wenn ich versuchte, sie zu erreichen. Und natürlich erinnere ich mich gerne an die freundlichen Emailwechsel mit Tegan von The New Zealand Merino Company, die das Neuseeländische ZQUE-Siegel eingeführt haben, das Mulesing-freie Wolle kennzeichnet, und von dem ich Interessantes über die Gesetzgebung zum Thema Mulesing in Neuseeland erfuhr. Und schließlich schaltete sich auch noch der hilfsbereite Bill aus Portland, Oregon, ein, Sales Manager bei Ovis XXI – aber auch er konnte letztenendes nicht helfen:

Das Ergebnis all dieser Gespräche war: Mulesing-frei ist möglich, aber GOTS-zertifiziert nein!

Und das zweite Ergebnis: Lieferung ab 20 Tonnen geht klar! Wenn wir beträchtlich mehr bräuchten, brauchen sie etwas Vorlauf für die Beschaffung. Schluck! Da hatten wir doch an etwas weniger gedacht …

Zudem meinten sie, dass GOTS-Wolle alleine uns eh nichts nützt, wenn nicht Spinnerei und Färberei ebenfalls GOTS-zertifiziert arbeiten. Uns eine solche Spinnerei nennen konnten sie aber nicht.

Gefunden haben wir dann schließlich wie durch ein Wunder doch noch einen Händler in Europa, der auch kleinere Mengen liefern kann und das GOTS-zertifiziert und in traumhaft weicher Qualität, importiert aus Argentinien und wegen GOTS auch garantiert Mulesing-frei! Alles wird gut!

Bio-Label für Textilien – welchem kann man glauben?

Bei Lebensmitteln ist seit 2001 klar geregelt: Wo Bio draufsteht muss Bio drinnen sein, fast alle Produkte sind mittlerweile mit einem Bio-Siegel zertifiziert. Im Textilbereich gibt es diese Klarheit bisher noch nicht. Viele Hersteller schreiben Bio oder Öko auf ihre Waren ohne dass überprüfbare Kriterien geschweige denn eine externe Prüfung dahinter steht. Das ist ok, wenn man einen Schäfer kennt, der selbst seine Wolle spinnt und man sich damit selbst ein Bild von dem Prozess machen kann. Aber da Merino-Wolle zum größten Teil von anderen Kontinenten kommt, war uns früh klar, dass wir selbst so eine Kontrolle nicht leisten können.

Wir entschieden uns also, ein Bio-Siegel zu bekommen. Aber welches von den vielen sollten wir nehmen? Etwa 20 Gütesiegel gibt es in Deutschland, alle mit unterschiedlichen Kriterien, wie die ZEIT unter der Überschrift „Nicht noch mehr Labels“ Anfang des Jahres schrieb. Aber dort wird auch empfohlen: „Echte Bio-Qualität verbirgt sich nur hinter wenigen Kennzeichen wie dem Textilsiegel Global Organic Textile Standard (GOTS). Es schließt auch soziale Standards mit ein und unterliegt strengen und regelmäßigen Kontrollen.“

Auch Greenpeace hat die Siegel unter die Lupe genommen und schreibt über GOTS: „Momentan das anspruchsvollste Label für den Massenmarkt mit ökologischen Kriterien entlang der gesamten textilen Kette. Hohe Glaubwürdigkeit. Berücksichtigt auch Sozialkriterien.“ Und Kirsten Brodde, Autorin des Buchs „Saubere Sachen: Wie man grüne Mode findet und sich vor Öko-Etikettenschwindel schützt„, sowie Campaignerin bei Greenpeace schreibt über GOTS: „Das ist das beste Zeichen, was wir haben“.

Die Entscheidung fiel also schnell für das seit 2008 bestehende GOTS Siegel. Damit würden wir garantieren können dass

  • unsere Wolle von Tieren aus kontrolliert biologischer Tierhaltung stammt
  • nur Chemikalien bei der Verarbeitung verwendet werden, die die Umwelt nicht stark belasten
  • die ArbeiterInnen in allen beteiligten Unternehmen fair behandelt und bezahlt werden
  • jedes Unternehmen in der Prozesskette jährlich einer strengen Prüfung unterzogen wird

Eine gute Zusammenfassung der GOTS-Kriterien gibt es auch bei Label Online vom Bundesverband der Verbraucherinitiativen.

Jetzt mussten wir uns nur noch zertifizieren lassen und Wolle, eine Spinnerei und eine Färberei finden, die nach GOTS zertifiziert sind. Das war dann aber nicht so einfach…

Das grausige Geheimnis: Mulesing

Bei unseren Recherchen sind wir auf ein grausiges Geheimnis der Schafzüchter gestoßen – zumindest bei uns spricht offenbar noch kaum jemand darüber, obwohl das Thema in Schweden und verschiedenen anderen Ländern schon vor Jahren ein großer Skandal war: Mulesing.

Dabei handelt es sich um ein schmerzhaftes Verfahren, das meist bei den noch kleinen Lämmern bis zum Alter von einem Jahr ohne Betäubung durchgeführt wird: „Während das Schaf fixiert ist, wird die After-Schwanz-Falte durch Entfernung eines v-förmigen Hautstücks im proximalen Schwanzdrittel gestrafft und der Schwanz ab dem dritten Schwanzwirbel kupiert. Weder während des Eingriffs noch danach werden Schmerzmittel verabreicht (s. Artikel über Mulesing bei Wikipedia).“ Studien zeigen, dass die Schafe noch 113 Tage nach dem Eingriff vor ihren Peinigern flüchten, so traumatisierend ist das Erlebnis.

Unternehmen wie Hugo Boss, H&M, Abercrombie & Fitch haben sich deshalb bereits von Mulesing distanziert und es werden glücklicherweise immer mehr!

Bei dem Verfahren, das vor allem in Australien praktiziert wird, geht es darum, Fliegenmadenbefall zu vermeiden. Da ca. 90 % aller Merino-Wolle weltweit aus Australien kommt, kann man mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass man mit Wolle von gequälten Schafen strickt.

Also nie wieder mit Merino-Wolle stricken (oh nein!) oder selbst versuchen, eine Mulesing-freie Wolle herzustellen (au ja!)?

Wir mussten also ein Zertifikat finden, das auch garantiert, dass kein Mulesing praktiziert wird!

 

Warum Merino-Schafe weicher sind als andere …

Merino Schaf von Wikipedia (GNU Free Documentation License)

Über den Unterschied zwischen dem weichen Merino und dem kratzigen Merino-Landschaf sind wir auf das Thema gestoßen, wie man eigentlich die Weichheit der Wolle bestimmt und woher man weiss, welche Schafrassen die weichste Wolle haben. Gemessen wird die Weichheit in sogenannten Mikrometer (Engl. Microns) (je niedriger desto weicher), mehr als 22 Microns werden auf der Haut in der Regel als unangenehm empfunden.

Das Merino Landschaf hat dabei zwischen 26-28 Microns, die weichste Merino-Strickwolle, die ich im Landen finden konnte hatte 19,5 Microns und fühlte sich angenehm weich an. Unsere Wolle hat ebenfalls 19,5 Microns, fühlt sich jedoch noch viel weicher an, was an der besonderen Art der Verarbeitung liegt, die wir ausgewählt haben.

Angenehm ist natürlich auch die Wolle der Kaschmir-Ziege oder des Baby Alpakas, nur haben wir hierfür auf der ganzen Welt keinen Händler gefunden, der uns solche Rohwolle Bio-zertifiziert liefern kann. Daher war die Entscheidung für superweiche Merinowolle recht klar.

 

Eine kratzige Überraschung

Ok, dachte ich, dann suche ich mir eben einen Schafhof in Deutschland, der seine Tiere ökologisch hält und den ich jederzeit selbst besuchen kann, um mich davon zu überzeugen. Ich fand auch einen, der auf seiner Internetseite kontrolliert biologische Tierhaltung (kbT) versicherte, allerdings wieder ohne Zertifikat. Also liess ich mir ein Kilo „wunderbar weicher Wolle vom Merino Landschaf“ schicken.

Als ich das Paket öffnete, war ich allerdings ziemlich enttäuscht: Die Wolle auf die ich mich so gefreut hatte, fühlte sich total kratzig an und war in Form von losen Strängen mit billig wirkender Banderole einfach in den Versandkarton geworfen worden, der auch noch an einer Ecke beschädigt war. Irgendwie fehlte mir da eine etwas liebevollere Verpackung für ein Produkt, hinter dem ein so positiver Ansatz steht.

Wie ich danach rausfand, ist die Wolle des Merino Landschafs, das in Deutschland gezüchtet wird, in keiner Weise vergleichbar mit der feinen, weichen Wolle des eigentlichen Merino-Schafs, das in Patagonien, Neuseeland und Australien vorkommt und für hochwertige Textilien verwendet wird. Das rauhe Klima dieser Länder fördert offenbar besonders weiche Wolle!

Nur leider: Wunderbar weiche Merino-Strickwolle in Bio-Qualität gibt es bisher einfach nirgends! Jede Bio-Schafwolle, die ich in Deutschland finden konnte, war sehr kratzig und meist auch nur in den Farben beige, braun, natur, grau erhältlich, also ungefärbt. Also erst mal aus der Traum von herrlich weicher, farbenfroher Bio-Schafwolle?

Ist nicht alle Schafwolle sowieso Bio?

Da ich mich im Bereich Lebensmittel schon länger mit dem Thema Bio auseinandersetze, fand ich es spannend auch im Bereich Textilien und Wolle darüber nachzudenken. Da ich viel stricke, kommt im Lauf der Zeit schon einiges an Wolle zusammen und da habe ich letzten Herbst beschlossen dieser Frage ernsthaft nachzugehen. Ich wollte rausfinden, ob mir Verkäufer oder Hersteller sagen können, wie es eigentlich den Schafen geht, mit deren Wolle ich stricke, wie es mit Chemikalien und Wasserverbrauch bei der Herstellung aussieht und mit schädlichen Rückständen, die man später zum Beispiel als Wollschal auf der Haut trägt.

Was ich rausgefunden habe war enttäuschend. Als ich in einem Wollgeschäft nach Bio-Schafwolle fragte, schaute mich die Verkäuferin fassungslos an und meinte, was das denn für eine komische Frage sei, alle Schafwolle sei doch sowieso Bio, ein Schaf ist doch per se „natürlich“, also quasi Bio, oder etwa nicht? Das hat mir gezeigt, wie wenig das Thema bisher – sogar von Fachhändlern – beachtet wird. Ähnliche Ergebnisse in anderen Läden: Bio-Baumwolle gibt es, aber wie ist es mit der Nachprüfbarkeit, dass wirklich die ganze Prozesskette der Herstellung Bio ist? Gibt es eine strenge Zertifizierung wie durch das Bio-Siegel bei Lebensmitteln? Komplette Fehlanzeige! Auch bei angeblicher Öko-Schafwolle aus den Anden sagte man mir nur, ich müsse eben darauf vertrauen, dass der Bauer seine Schafe artgerecht hält.

Warum Bio?

Als Rosy und ich 2001 zusammenzogen, kam die Frage auf wo wir denn unsere Lebensmittel einkaufen sollten. Vorher habe ich nicht viel gekocht, mittags war ich meist in der Arbeit essen und auch oft abends unterwegs, der Kühlschrank blieb manchmal tagelang leer. Jetzt wollten wir gemeinsam neue Rezepte ausprobieren und etwas Gutes kochen. Doch das geht nur mit guten Zutaten, aber wie sollten wir diese erkennen? Marken vertrauen? Wir sind beide nicht der Typ, der einfach vertraut, wir recherchieren lieber.

Und so haben wir nachgelesen über Lebensmittelherstellung und Tierhaltung. Bald wurde uns klar, dass wir nicht entspannt ein Frühstücksei essen können wenn es von einem Käfighuhn kommt, dass wir kein Fleisch von Tieren essen wollten, die mit Antibiotika vollgepumpt wurden. Uns ist die Natur zu wichtig ist, als dass wir Überdüngung mit unserem Kaufverhalten unterstützen wollen.

Jetzt wäre es konsequent gewesen uns Bauern aus der Umgebung zu suchen, die anders vorgehen und bei denen wir persönlich hätten kontrollieren können wie sie an die Landwirtschaft rangehen. Die Zeit hatten und haben wir nicht und abgesehen davon: Kilometerweit mit dem Auto fahren, um umweltschonende Lebensmittel zu holen macht nicht viel Sinn. Also entschieden wir uns im Bio-Supermarkt einzukaufen. Anfangs kamen wir uns etwas fremd vor zwischen Männern mit langen Bärten und Frauen mit sackartigen Kleidern. Aber in den letzten Jahren sind die Biomarkt-Einkäufer kaum mehr von denen in anderen Supermärkten zu unterscheiden. Auch bekommt man jetzt fast alles in Bio was es auch konventionell gibt.

Seit 2001 hat sich der Bio-Umsatz mehr als verdoppelt, mittlerweile hat Bio einen Marktanteil von etwa 3,4% und immer mehr Supermarktketten haben Bio-Lebensmittel im Angebot. Scheinbar haben einige anderen Leute auch recherchiert und sind zu dem gleichen Ergebnis gekommen.