Gestrickte Sonnenstrahlen, Farben und Wörter

Auch diese Nacht ist sternenklar und warm. Die Grillen zirpen, in der Ferne bellen Hunde und ich liege ein letztes Mal in meinem Zelt und lasse meinen Sommer in der Serra da Estrela – dem Sternengebirge – Revue passieren. Vier Wochen auf dem demeter-Hof Dominio Vale do Mondego in den portugiesischen Bergen, umgeben von Schafen und Olivenbäumen, neigen sich dem Ende zu. Und während ich mich im Halbschlaf befinde, ziehen Bilder und Erinnerungen an mir vorbei:

1-DSC096971-DSC006071-DSC00390

Ich sehe die terrassierte, trockene Landschaft, übersät mit riesigen Steinen und zahlreichen „Oliveiras“; fühle den kühlen Nebel der morgens im Tal hängt, die extreme Hitze des Tages und das erfrischende Wasser des Mondego-Flusses; schmecke die wunderbar süßen Feigen, frisch gepflückt; und bei dem Gedanken an die Seele der Landschaft – die Schafe, die diese Gegend seit jeher prägen – schlafe ich friedlich ein. Zum ersten Mal unter meiner neuen, kuschelweichen Decke – dem Resultat meiner sommerlichen Strickmeditation.

1-DSC00882

„Ich sammle Sonnenstrahlen“

Es liegt in der Natur der Dinge, sich im Sommer auf den Winter vorzubereiten. Das Vlies der kürzlich geschorenen Schafe wächst bereits wieder, die Oliven benötigen die Sonne zum Reifen, und wir Menschen brauchen sie, um genügend lebensnotwendiges Vitamin D zu produzieren. Deshalb habe ich mich, genau wie Frederick, die kleine Feldmaus aus dem bekannten Kinderbuch von Leo Lionni, jeden Tag etwas abseits vom Geschehen auf einen der Steine gesetzt, die Ruhe und die Natur genossen, und gearbeitet – auf meine Weise.

1-DSC005331-DSC00399 1-DSC005761-DSC003681-DSC003921-DSC00397

Wahrscheinlich sah es nicht wie Arbeit aus, doch ich habe fleißig gesammelt. Sonnenstrahlen, Farben und Wörter – all das Schöne und Charakteristische aus dieser warmen Jahreszeit hier in der Serra habe ich aufgesaugt, in viele Quadrate verstrickt und feinsäuberlich als Decke zusammengenäht. Eine unglaublich beruhigende Tätigkeit!

1-DSC005931-DSC007651-DSC00778
So habe ich die Erlebnisse und Momente abstrahiert und in Wolle übersetzt – und wenn die Tage wieder kürzer und grauer werden, soll mich diese Decke auf eine besondere Weise warmhalten. Denn sie erzählt meine Geschichten aus dieser wunderschönen Zeit und bringt bestimmt etwas Leben und Freude in jene unendlich lang erscheinenden Wintermonate. Ja, es ist tatsächlich möglich, sich ein Stück Glück zu stricken. Eine wärmende Umarmung aus Big Merino Hug.

1-DSC00816-001

Eine Strickmeditation

Dies ist keine Strickanleitung im klassischen Sinne, sondern lediglich eine Anregung für die eigene kreative Umsetzung Eures Erlebten. Dazu möchte ich die „Eckdaten“ gerne mit Euch teilen: Für jedes der 16 Quadrate habe ich 40 Maschen mit einer Rundstricknadel der Stärke 5,5 angeschlagen und 72 Reihen kraus rechts gestrickt; somit ergeben sich 36 „Rippchen“. Für das spätere Zusammennähen der Teile empfehle ich an beiden Enden etwa 75 cm Faden überstehen zu lassen.

1-DSC003831-DSC003511-DSC00538

Ein 100 gr. Strang Big Merino Hug reicht für zwei einfarbige Quadrate; bei zweifarbig gestreiften Stücken halbiert sich die Menge pro Ton entsprechend auf die Hälfte (ca. 25 gr.). Die einzelnen Strickstücke waren in meinem Fall ca. 24 cm breit und 23 cm lang. Anschließend habe ich jedes der Quadrate mit Wasser besprüht, mit dem Bügeleisen (niedrigste Stufe, evtl. feuchtes Küchentuch dazwischenlegen) gedämpft und vorsichtig auf eine einheitliche Größe von 26×26 cm gedehnt.

Nachdem ich alle Einzelteile beisammen hatte, stand ich vor der Qual der Wahl: Wie ordne ich die Quadrate an? Hierfür habe ich mir viel Zeit genommen und schließlich ein gewissermaßen symmetrisches Muster aus 4 x 4 Quadraten gewählt, die Anordnung skizziert und mit dem Nähen begonnen. Im Matratzenstich habe ich zunächst vier Streifen aus je vier untereinanderliegenden Quadraten zusammengefügt und diese dann anschließend längs zusammengenäht. Dabei ist eine provisorische Fixierung der nebeneinanderliegenden Ecken empfehlenswert.

1-DSC00917-0011-DSC00857

Die Gesamtmaße des fertigen Strickstücks betragen nun ca. 105 x 105 cm – perfekt als Tagesdecke am Fußende eines 90 cm breiten Bettes, auf dem Sofa oder auch als eine Art Poncho. Ich bin sehr glücklich mit meiner Decke, habe mir dennoch offengehalten, sie weiter wachsen zu lassen – deshalb die unvernähten Fäden an den Rändern. Mal sehen was der Sommer noch so bringt… 1-Collagen93

„Macht die Augen zu“ sagte Frederick und kletterte auf einen großen Stein. „Jetzt schicke ich euch die Sonnenstrahlen. Fühlt ihr schon, wie warm sie sind? Warm, schön und golden?“ Leo Lionni

Idee, Umsetzung, Text und Fotos: Sabine Mader

Die Fotos, auf denen ich abgebildet bin, hat Manou Klerks freundlicherweise aufgenommen. Danke!